What the f**k is EMA

Es gibt ganz gute Erklärungen zur Wirkung von Strom im menschlichen Körper, wenn man diesen zum Zwecke der Muskelstimulation einsetzt. Manche Erklärungen sind rein technischer Natur, andere wieder eher physiologisch. Grundsätzlich ist es aber ganz gut zu wissen, dass der Körper an sich auch selbst sehr viel mit elektrischen Impulsen arbeitet. Aus der Neurologie kennt das jeder. Nerven leiten elektrische Impulse. Unser Gehirn arbeitet auf der Basie elektrischer Impulse. Aber tatsächlich sind die meisten Funktionen im menschlichen Körper auf der Basis elektrischer Impulse aufgebaut.
Es gibt Messungen die beispielsweise zeigen, dass Knochen ihr elektrisches Potenzial ändern, wenn man diese belastet. Es gibt Hinweise darauf, dass man durch Einflussnahme auf dieses elektrische Potential beispielsweise die Knochenheilung beeinflussen kann.
Das heißt, in unserem Körper spielen elektrische Ströme und elektrische Potentiale an vielerlei Stellen eine große Rolle. So auch an Muskelzellen.

Auf dem Weg vom Gehirn (Reizsetzung) zum Ort des Geschehens (Muskelzelle) gelangt ein elektrischer Reiz über die dafür vorgesehenen Nervenbahnen. Man spricht von motorischen Nerven oder Motoneuronen. Motoneuronen sind schnell leitende nerven und sie führen immer bis zu einer Muskelzelle. An der Muskelzelle muss der elektrische Reiz in einen chemischen Reiz umgewandelt werden, damit dieser an der motorischen Endplatte von Nerv auf Zelle übergehen kann. Acetylcholin wird an dieser Übergangsstelle, der Synapse für die Vermittlung des Reizes genutzt. Postsynaptisch muss dann der chemische Reiz wieder in einen elektrischen umgewandelt werden, denn hier wird der Reiz vom Sarkolemm weitergeleitet, um im Inneren der Zelle den eigentlichen Kontraktionsreiz auszulösen.
Im Klartext heißt das: Auf dem Weg vom Hirn zur Kontraktion der Muskelzelle gibt es zwei elektrisch leitende Systeme – einmal den motorischen nerv und zellseitig dann das Sarkolemm. Das ist wichtig für uns EMS Sportler, denn EMS Geräte erzeugen elektrische Impulse – diese elektrischen Impulse bringen wir zum Körper und wollen dann dort Kontraktionen auslösen – das können wir bewirken, indem der elektrische Reiz auf das Motoneuron wirkt, oder auf das Sarkolemm. Nun sind aber Motoneuron und Sarkolemm unterschiedliche Gewebe mit unterschiedlicher Reaktionsfähigkeit. Beispielsweise ist das Motoneuron durch eine Myelinschicht deutlich schneller leitend als das Sarkolemm, dem die Myelinisierung fehlt. Aber es sind noch viele andere Faktoren, die die Leitfähigkeit der beiden Gewebe unterschiedlich macht.
Für uns bedeutet das, dass der elektrische Impuls, mit dem ich das Motoneuron anspreche, anders beschaffen sein muss als ein elektrischer Reiz, mit dem ich das Sarkolemm anspreche. Dazu haben schon in den 1940er Jahren Wissenschaftler wie Gildemeister geforscht und auch auf seinen Erkenntnissen aufbauend entstanden unterschiedliche Stromformen, um unterschiedliche Wirkung im Körper zu erzielen.
Rückwirkend betrachtet war es wohl so, dass durch den zweiten Weltkrieg und die darauffolgende Zweiteilung Europas in Ost und West unterschiedliche Stromformen für das Ziel Muskelkontraktion präferiert und weiterentwickelt wurden. Während man im Westen deutlich mehr auf die sog. Niederfrequenz setzet end damit arbeitete, entwickelte sich (auch auf den Erkenntnissen Gildemeisters beruhend, der in Leipzig forschte und lehrte) im Osten verstärkt auch die Nutzung von mittelfrequenten Strömen im Beriech von 2000 bis 6000 Hz weiter. In Ermangelung technischer Möglichkeiten hat man anfangs auf sogenannten Schwellstrom gesetzt, erst in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts fand man dann technische Möglichkeiten auch mittelfrequente Ströme als Rechteckimpuls herzustellen und diese dann als Schwellmodulation zu modulieren. Mit der Zeit wurde daraus dann eine Trapezform, weil man feststellte, dass diese nochmals besser wirkte, wenn das Zielgewebe für den Reiz das Sarkolemm war. Man nutzte sozusagen das rechteckige Trägersignal von 2000Hz als Carrier um in die Tiefe des Gewebes zu gelangen und über die trapezförmige Schwellmodulation erreichte man dann gezielte Muskelkontraktionen nach dem Muster der Modulation.
Und genau das war die große Entwicklung: Man hatte einen Strom gefunden, mit dem man aufgrund seines hohen energetischen Potenzials auch in die Tiefe des Körpers gelangte, also dorthin wo die Muskelzellen liegen, und durch die Modulation der Hüllkurve als Trapez im Zeitfenster Minute konnte man nun Kontraktionen erzielen, die der natürlichen Kontraktion verdammt nahekam.

Die Niederfrequenz hatte im vergleich mit ihren 1 bis 100 Hz ja deutlich weniger Energie und war daher in den Tiefen des Körpers nicht mehr wirksam. Hinzu kam, dass ihre Beschaffenheit als Rechteckimpuls im Zeitfenster Sekunde auch nur dazu taugte die Motoneurone zu reizen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Niederfrequenz und Mittelfrequenz zwei Stromformen sind, die beide genutzt werden können, um Muskelkontraktionen zu erzielen. Da man mit der modulierten Form der Mittelfrequenz aber den besonderen Vorteil hat, dass man den Reiz auch über das Sarkolemm setzen und damit einer physiologischen Kontraktion sehr nahekommt, bezeichnete Prof. Sen schon in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts, also vor rund 50 Jahren, die Muskelwirkung der schwellmodulierten Mittelfrequenz von 2000Hz als „quasi-physiologisch“.
Wohingegen die Niederfrequenz, die immer nur über den motorischen Nerv reizt, physiologisch gesehen ein Zwangsdiktat für die Muskelzelle bedeutet. Und wenn man tetanische Kontraktionen herbeiführen möchte (wie das im ESM Sport zwingend ist) dann muss man mit Frequenzen im Bereich oberhalb 75 Hz arbeiten und damit bedeutet das für den allergrößten teil der Muskelzellen ein deutlich zu hoher Reiz. „Zu hoch“ ist hier im Sinne der physiologischen Beschaffenheit gemeint. Das heißt, dass die meisten Muskelzellen physiologisch mit (deutlich) niedrigeren Frequenzen arbeiten als 85 oder gar 100 Hz. Wenn ich also alle Muskelzellen über das Motoneuron mit so hohen Frequenzen „beschalle“ dann stellt das einen überzogenen Reiz dar – exakt wie bei einem Krampf. Wenn Motoneuronen unkontrolliert feuern – in der Regel ausgelöst durch Elektrolytverschiebungen – dann werden plötzlich so viele Zellen maximal kontrahiert und geraten geradezu in eine Kontraktionsstarre, dass man von einem Krampf spricht. Löst man rhythmisch Kontraktionen über Niederfrequenz mit 80Hz oder mehr, dann erzielt man Vergleichbares: Krämpfe. Intermittierende Krämpfe.

Zurück zur Frage: What the f**k is EMA. Man spricht von Elektrischer Muskelaktivierung (EMA), wenn man für EMS sogenannte Modulierte Mittelfrequente Ströme (MMF) nutzt. Ganz streng gesehen ist EMA der Einsatz von schwellmodulierten mittelfrequenten Strömen im Bereich von 2000 Hz. Denn für diese Stromform hat Prof. Senn die Bezeichnung der „quasi-physiologischen“ Muskelwirkung erstmals verwendet und eben von elektrischer Muskelaktivierung im Gegensatz zur elektrischen Muskelstimulation gesprochen.

Wenn man es also auf den Punkt bringt, gibt es kein EMS versus EMA. Es sind einfach zwei Varianten für ein Wirkprinzip.

Moderne EMA Geräte bieten den Vorteil, dass sie grundsätzlich beides können: Über das Motoneuron reizen (das nennt man dann NF-Modulation) und/oder über das Sarkolemm „quasi-physiologisch“ den Muskel zu aktivieren.
Die reine Niederfrequenz hingegen bietet ausschließlich die Option über den Nerv zu reizen und für EMS Sport bedeutet das, dass man auf intermittierenden Krämpfen basierend trainiert.

Die Frage die sich an der Stelle natürlich sehr aufdrängt ist: Wieso nutzen so viele EMS Geräte nur die niederfrequente Stromform (NF), wenn doch die Modulierte Mittelfrequenz (MMF) deutlich mehr Möglichkeiten bietet und vor allem „quasi-physiologische“ Muskelarbeit möglich macht.
Ehrlich gesagt kann man nur spekulieren. Denkbare Gründe gibt es diverse.
Technisch ist es deutlich einfacher eine NF zu erzeugen und folglich ist es in jedem Fall kostengünstiger NF Geräte zu bauen. Aber fast noch wichtiger ist wahrscheinlich, dass die NF sehr einfach ist. Wenn man mit ihr Muskeltraining machen will, dann gibt es nicht viel zu verstehen, man schaltet mehr oder minder ein und dreht hoch…
Bei der MMF sieht das anders aus. Da der Storm in vielen Arten moduliert und eingestellt werden kann, erfordert es einerseits deutlich mehr Fachwissen für die Gerätehersteller, aber es erfordert im Umgang mit dem Strom auch deutlich mehr Verständnis. Natürlich haben auch die MMF Geräte voreingestellte Trainingsprogramme und daher muss der Anwender auch nicht mehr wissen als bei einem NF-Gerät, aber wenn man ein MMF Gerät wirklich in all seinen Möglichkeiten nutzen möchte, dann ist es sicherlich anspruchsvoller, als der Umgang mit NF.
Schließlich gibt es auch noch einen weiteren Grund, den ich mir vorstellen könnte als Ursache dafür, dass viele Hersteller sich für die NF entscheiden: Die wesentlich höhere Energiedichte der MMF erfordert deutlich mehr Qualität bei Zubehör und Handling. Salopp gesagt: Eine NF kann ich auch über einen nassen Putzlappen auf den Körper übertragen – eine MMF definitiv nicht.

Ich für meinen Teil vermute, dass die meisten EMS Geräte Hersteller nicht so sehr den fachlichen Anspruch in den Vordergrund stellen. Sie wollen gar keine EMS Geräte für anspruchsvolles Training bauen, sie wollen Geräte bauen, die einer Masse an unsportlichen Menschen zu Kontraktionen verhelfen ohne dabei sonderlich schwierig in der Anwendung zu sein. Und dieses Ziel erreichen sie mit NF-Geräten.

Wir als EMS Sportler sehen das alles natürlich anders. Wir wollen den für uns besten und wirkungsvollsten Strom. Das ist normal. Deswegen werden wir auch immer, wenn wir die Wahl haben, zu einem EMA Gerät greifen. Aber deswegen haben EMS Geräte trotzdem ihre Berechtigung. Hollandräder verlieren ja auch nicht ihre Berechtigung nur weil es hochmoderne Carbon-Rennräder gibt die weniger als 6 Kilo wiegen, 24 Gänge elektronisch schalten und aerodynamisch bis zum Äußersten maximiert sind (aber es würde auch niemand ein Hollandrad nutzen um die Tour de France zu fahren).

Ich sehe das so: Eine physiologisch nicht so wertige Kontraktion ist immer noch besser als gar keine Kontraktion.
Im Übrigen: Das ist auch der Grund wieso Hersteller von niederfrequenten EMS Geräten und Anbieter von NF-Training eine Nutzug der Geräte für maximal einmal die Woche für 20 Minunten empfehlen. Selten auch mal 2 x 20 Minuten in der Woche, aber niemals mehr. Sie wissen um die unphysiologsiche Belastung die die intermittierenden Krämpfe der NF verursachen.
Doch sind wir mal ehrlich, dann wissen wir doch alle, dass ein sportliches Training doch niemals mit einem Training in der Woche erledigt ist. Auch da wieder: Einmal ist besser als keinmal, aber sinnvolles Training erfordert mehr als einmal in der Woche 20 Minuten. Egal ob es sich um Muskeltraining handelt, um Ausdauertraining, ob wir einfach nur etwas für unsere Fitness tun wollen oder tatsächliche sportliche Ziele verfolgen – zwei oder drei Trainingseinheiten in der Woche dürfen (müssen) es schon sein.